cogitamus

Das Korn zum Angriff auf die Brotfabrik geblasen,
die Spreu verweht und Stroh zu Rädern eingepresst,
schattige Streifen in das Stoppelfeld gezogen,
danieder liegt es leergeschor‘n im Jahreslauf,
der Sommerwind auch um sein Wogemeer gebracht –
und unsereins begibt sich auf die Lauer,
die letzten, um die sich Natur noch Sorgen macht

Crossover

Silberfäden quer im Wind,
Klangfolge im Schneckengang –

Fließen kleingroßen Seins
auf der Suche nach Halt

morgensonne

signalrot leuchtet beerengelee,
kopfherzenfehlalarm
für eine keine liebe –
wieder mal nichteinanderfinder

fruchtabstrich, naschen mit fingerzeig,
sattmattsüß gebunden,
frühzeitlich ungelegen –
kindnahrung seelentrost mangelwahr

oktoberlicht

einssiebzig augenhöhe circa,
da unten fließt der herbst vorbei –
ein blättergelb und -braun im gehen
auf dem strom der jahreszeit;
nebelfeuchtes insinnieren,
gesenkter blick, fokus zerstreut,
bis dass es schwimmt unter den schritten

und tief getaucht in atmosphäre
wandert der sinn zum see hinaus,
ihm schwant, der weiße punkt dort
reißt einen silberstrahl
ins dunkelgraue uferspiegelbild,
wo auch die hellen schwaden steigen,
ziehen in kalter brise hin

oktoberlicht diktiert sich festlich
in aufmerksames eingefühl,
winkt fernab zu manchen bäumen,
die unter sich ihr stolzes laub
zum großen kreis niedergelegt

da sein

mit ganzer haut gebettet
im novembersonntag eins,
grau und blau zum fenster herein,
züngelndes knistern brennt wärme
in den späten nachmittag

Still

Blinder Spiegel, Kerzenlicht,
zurück und seitwärts Bilder wie Schatten,
Blick auf Vergänglichkeiten

Ein schweigsamer Umzug windet sich
durch Straßen der Erinnerung,
gesäumt von den Jahren,
sie winken in starrer Geste ihre Wehmut herbei,
wo sich den Dingen
Vertrauen ins Leben angereichert – was sonst –,
bis sie uns flüchtige Eigner abstoßen,
an den Wegrand zum Plündern gestellt,
mal sperrig, mal schwer,
so wie manches Gefühl uns durchdringt

urferne

liebe – die kraft
sich im kleinen vom großen
im nahen vom weiten
im teil vom ganzen zu nähren

doch ein du zu lieben
liegt so wenig in ihm
wie die sterne der ferne
unsere augen gewährten

Wolluskel

Baumeln zwischen Lust und Scheiden,
Muskelspannung Sturm und Drang,
Körperschwellung, Wasserlassen,
Hormonharnisch, Harnenzwang

Kopf und Bauch, Vegetative,
Dammüberbein und Hahnenkamm,
flotter Zweier, Pinkelpause,
Aufzug, Postmann, Prostamtam

Triebabfahrt, Penissoire,
Eigentor und Schüttelfrust,
Samenwahl mit Blasorchester,
Spermaphrodisiakum

Urinstein und Urinstinkte,
schöpfungskomischer Erguss,
Doppelripp und Zweifachnutzen,
Morgenstrahlkanalgenuss

Hain

Schön, wie da die ranken Birken
in den frühen Jahreshimmel gabeln,
ein Strecken weißen Fühlens
in dieses erste warme Erdenblau

Höher und hoch hinaus zum Licht
aus bodentiefen Haltgeflechten
drängt sich von innen her auch
wiederkehrendes Erwachen
schon hin zum Flitterwindspiel
sonnenstandgerechten Zeitenlaufs

durchlauf

vergangenheit in dieser stadt,
den straßen hier und anderen,
am ufer gegenüber auch

wolken über brücke über fluss,
verschobene zeit,
dekaden eigenblut und -leben,
erinnern, das pulsiert,
ein zweites herz,
synkopen aufsteigender wehmut

Das Geschenk

Jahrzehnte durch, die ich es aufbewahrte,
gelingt es ihm, mich auf Dich anzusprechen,
auf wie Du warst und wie ich war mit Dir

Wenngleich verborgen lange Zeiten,
in Schachteln, Schränken abgelegt,
entdeckt es mir nun eine Türe
zu unverstelltem Seelenraum
und neue Achtsamkeit bereiten

Wieder dem Sinne zugeführt,
der schon damals ihm und mir bedacht,
etwas im Herzen zu begreifen,
was von den Händen durch den Körper fließt,
dass wir wie Kugeln umeinander kreisen,
von innen her geheimnisvoller Klang,
und dort sich Unsichtbares noch vollzieht

748

rheinan,
schon alles gesagt,
fließen lassen

und doch,
gegenlicht, wellenglitzern,
fahrgastschiff pendelt,
gegenufer ausgewaschen, sand,
leutestriche spielen sonnenuhr,
marmara, tanker,
deck feuerrot, das ganze,
paddelboot, einer, flussab,
im rücken alter mann,
schlürfende schritte, schnelle,
jacke rot, wie oben

sitzen, warten,
graphit auf papier,
fließen

Wiederhein

Und wie heute das kleine Mädchen
mit wehendem Kleid und Haar
durch die Wiese hüpfte und lief,
zu dem anderen Kind am Weg –
da scheitern Worte, da war Sonne

Kriegszeitenspäter

Parkgebänk, Körper im Ruhestand, Grünstarre

»Das ist Heidi, erkenn ich an den Federn«

Entitäten, Watschelzwang, Idyllengriff,
Seelensitzfleisch, Grundwasserspiegelung

Echoloten

Rindenfluss am Pappelstamm die Jahre,
Elefantenhautgedächtnis

Bombenalarm

Dann wurde neu gepflanzt,
am Zoo auf den Kadavern

dreiecksbeziehung

sehe den vater und mich,

als er so alt wie heut‘ ich,

ihn damals vor mir im blick

auf die lebenszeitgleiche

auf dem weg

halbkugelreflexion im tiefdunkel,
dazu netzhautige endstationen
ausufernder sonnenreisen, vollsprenkel,
astropunktur der sinne,
und schritte, die nach hause gehn

dröhnender stahlhall
durch die nachtstille weite
am nordrand der stadt,
schmelze, starre und klang
aus irdischer glut

Der Schein trägt

heut‘ saß ich auf dem Mond am Fenster – Halberde war‘s,
Anziehungskräfte noch von einer Zeit,
die so weit gegangen ist,
und auf der sich aller Fortgang ballt

das Dunkel dreht sich langsam aus der Nacht,
hier oben auch [verweilen die Gedanken],
die Sterne wieder sonnenklar –
ein Bild gerät aus seiner Umlaufbahn

x43

die füße geschlossen, »pieds tanqués«,
etwa zweitausend gramm auf den händen,
fand sich dieser mann, einen sommer lang,
des abends im parkgelände

drei kugeln aus stahl und seine manier,
mit zweien auf eine zu »schießen«,
oder am besten dem hölzernen ziel
nahe zu kommen, dass sie es »küssen«

»wer gewinnt denn?«, fragt passantenhumor,
der die übung mit staunen betrachtet,
immer die kugeln, so kommt es dem vor,
dessen willen sie vorerst missachten

was auch nicht wundert, ahnt man die chancen,
die das geschehen noch dominieren,
bei fassen, zielen, schwung und balance
trefferquote zu unterminieren

nahbei die hohen wasserfontänen,
ballistische kurven auf ihre art,
gleichwie sind elemente zu zähmen,
konstante bewegung, material

eisen auf eisen, »au fer« und »carreau«,
auch versuche, die alles verfehlen,
schärfen von innen koordination –
manche zeit wird das ganze sich nehmen

Überführung

Weiß und rot fließt es
zurück in die Nacht,
da unten

Lichter

Stadtaus, stadtein,
Partikelströmung alle Tage,
wohin und her

Rauschen

kilogram

tausendfaches leid liegt auf den seelen,
tausend mal tausend tausendfach und mehr weltum getragen,
ein sein und wesen, das sich stets erneuert,
durch lebenszeiten seine glut befeuert,
dazwischen hier und da ein bisschen glücklichsein

tausendfaches soll belegt die sinne,
tausend mal tausend tausendfach und mehr weitum gezollt,
ein streben, sich im kreis zu drehn und wenden
und labyrinthisch in der flucht zu enden,
mitunter doch stellt sich ein eigenleuchten ein

Adieu

Blätter fallen, Menschen geh‘n,
zwanzig elf null dreizehn, Dieter H.,
kritischer Eskort Jahrzehnte nach den Kriegen,
mit unverwechselbarem Republick
auf selbsternannte Gnade späteren Geburtengangs
und alledem, was recht sein sollte und nicht ist,
Trotz und Gehalt, randvoll mit Respekt

Es lichtet sich der Herbst hinter dem Haus,
in Wind- und Kälteseile geht‘s zum Winter,
Astwerk nunmehr lebensstark vor Himmelgrau

15012014

Zeitenhänge
fallen
schroff
zu
Schluchten
der
Erinnerung

Birke

Sie tanzt im Winterstand,
fängt sich den Wind,
ein Wiegen hin und her

Und nicht mehr lange
geht das so,
ohne dass Blätter werken,
winken zu mir herein
mit Sonnenflitter
die neue Jahreszeit

juliabends

es schminkt die Sonne sich auf Untergang,
pudert die Zuckerwattewolkenbank,
die ihren Keil südher ins helle Abendblau
für Stadt und Fluss anwehen lässt

zartrosa ins Orange einspielend
lächelt das Farbenlicht auf weißem Bausch
zum Himmel hoch in unser Augenfeld,
ihm da hinweit zu folgen

Andersgleich

Auf den Feldern weit und breit
hat sich ein Sommer wieder flachgelegt,
sind Furchentiefen auf und ab
ins erntemüde Land gezogen;
den Acker hier und dort
beflort ein Schimmer Futtergrün,
bevor uns mittherbstkalt
das Feuchtnovembergrau
entgegenweht

Oktoberleuchten noch
im abendrosa Schweifen,
das über all‘ die Jahre geht
und auch versunken
in der Schönheit
eines Augenblicks besteht,
das mich am Wegrand
draußen vor der Stadt berührt
und das sich innen lange nicht verliert

Mailich

Ein früher Morgen gurrt schon hoch im Hinterhof,
runter vom Taubennest in dritter Saison,
krächzenden Elsterzügen widerstanden
und manchem Sturm, der von Norden geblasen
oder südwesther an den Wipfeln zerrte,
die längst haushöher ihre Jahre tragen

Die kesse Kresse, auch wieder ausgetrieben,

umwindemeisterlich findet sie leichten Halt,
wartet sie auf mit Orangefrohfeuerblüten,
urspringt aus eignem Samenkorn von Mal zu Mal

02112014

Blaumilde Stimmung
zum Grablichtertag,
der Wind schon sommergelaunt –
möchte im Herbstlaub baden

Stumpf I

Allen Windspiels beraubt, des Astwerks,
das rundum seine Arme streckte,
den stolzen Stamm zerstückelt abgetragen,
Jahre, Jahrzehnte, Größe, jede Zeit
von scharfem Stahl gerissen

Systemische Verkettung Dummherzigkeit und Macht,
die unbeherrschte Sucht nach endgelösten Fakten

Vogel sucht verwirrt einstige Raststationen,
Wind verfängt ins Leere, träumt,
wie in vergang'nen Tagen
Blattgold sich am Sommerlied berauscht;
kein Frühlingsbotensprießen mehr
an Fenstern und vor Augen bis ins Herz

Weitum strotzen blecherne Karossen,
und Mauergrau stiehlt sich
in birkenprachtgewohnten Blick

Sie war'n einmal, die beiden Exemplare,
wie Sonden hin zum Wolkenspiel und Himmelblau,
und auch ihr Schutz vor kaltem Sturm und Regen
und allem Schmutz, den Mensch ohne Bedacht
in seine Umwelt lässt

Stumpf II

Die Birken beide nun gefallen,
mit ihnen lange Jahre auch,
Sinnbild so mancher Lebenszeit,
das ihrer stolzen Kronen
verbleibt als Wurzelwerk
im dunklen Erdenreich

Aber Mensch, der wütet weiter,
weiter im hellen Sonnenschein

H.

Mein Bruder –
nun hat sein Leben
aufgegeben,
ist auf und davon,
hat zurückgelassen,

was noch Jahr um Jahr
wär' Freude
und auch Glück
gewesen

[26. Nov. 2017 / 21:29]